Dienstag, 17. April 2012

Wider die Stigmatisierung

Mehr als vierzig Jahre nachdem in der Bundesrepublik die Alkoholabhängigkeit als Krankheit anerkannt wurde und seit Betroffene und Angehörige die Möglichkeit wahrnehmen können, ihre Belange aktiv, selbstbewusst und erfolgreich in Fachkliniken, Therapieeinrichtungen und Selbsthilfeorganisationen der Öffentlichkeit, Krankenkassen und Rentenversicherer gegenüber durchzusetzen, sind Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung alkoholabhängiger Menschen nach wie vor als gegeben anzusehen, sind gesellschaftlich geächtet und leider Realität, auch wenn in anderen Formen und unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. Ein Ende der Ausgrenzung ist immer noch nicht in Sicht.

Ich nehme deshalb die Begleitung eines meiner Klienten, anlässlich eines Besuches zu einem klärenden Gespräch bezüglich seiner familiären Situation in einem Jugendamt im Rhein-Main-Gebiet zum Anlass, mich mit der Unwissenheit und den nebulösen Vorstellungen der dortigen Sachbearbeiter über die Alkoholab-hängigkeit als Krankheit, trotz eigentlich hinreichend bekannter Fakten, mich mit dieser Thematik und in der hier gebotenen Kürze auseinander zu setzen.

Die Früherkennung der Suchtkrankheit stellt hierzulande nach wie vor das Hauptproblem bei der Behandlung von Suchtkranken dar. Das liegt weniger an den diagnostischen Festellungen als vielmehr an der Stigmatisierung durch die Diagnose Suchterkrankung selbst. Denn für die überwiegendeMehrzahl Suchtkranker beginnt der eigentliche Leidensweg jetzt erst so richtig. Häufig liegt es an der bisweilen diskriminierenden Zuordnung der Krankheit, die ihr vom sozialen Umfeld des Betroffenen aufgestempelt wird, mehr als an der Symptomatik selbst. Der Suchtkrankheit im Besonderen der Alkoholabhängigkeit wird von der Mehrheit unserer Gesellschaft leider noch immer der Status einer Krankheit abgesprochen und sie wird vielmehr als selbstverschuldetes und asoziales Verhalten angesehen. Vermeintlich folgerichtig wird dann auch vom Betroffenen selbst gefordert, dass er sich "einfach zusammennehmen soll", um seinem übermäßigen Konsum zu entsagen. Womit das Scheitern und die Ausweglosigkeit des Betroffenen schon vorprogrammiert scheint. Ein Scheitern, dass ihm mit dem Vorwurf angelastet wird, dass eine Hilfestellung und Behandlung für ihn nicht sinnvoll, weil nicht zielführend wäre. Im Zusammenhang mit der damit einhergehenden Forderung nach lebenslanger Abstinenz als einziges Ziel stellt sich auch die Frage, ob die Gesellschaft, wenn wir von diesen Menschen lebenslange Abstinez verlangen und meinen, Willensstärke wäre zur Erreichung dieses Ziels ausreichend, nicht eine Forderung in den Raum stellen, die als kaum erfüllbar vom Alkoholabhängigen wahrgenommen und gefühlt wird.

Diese letzlich für keinen der Beteiligten, seien es nun Ärzte, Therapeuten, Berater, Angehörige oder Betroffene selbst, unbefriedigende Situation macht es notwendig, sich nicht nur mit therapeutischen Behandlungsfragen, sondern vorrangig auch mit Fragen des persönlichen Umgangs mit der Suchtproblematik in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und im Umgang mit Betroffenen im Besonderen zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang stellt sich abschließend die Frage, wieso wir Alkoholexzesse und medial präsente Alkoholabhängigkeit bei prominenten Mitbürgern tolerieren, aber dem Menschen von nebenan den Weg aus der Sucht mit Diskriminerungsfloskeln versperren und ihn weiterhin seelisches Spießrutenlaufen lassen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen